"Was machst eigentlich DU?" - Wenn die Karriere zur Karrierefalle wird

Eine Blogbeitrag über Erfolg, Leere und den Mut zur Veränderung

Martin talamona

1/2/20256 min read

Die Frage kam damals - es war vor rund 10 Jahren - unerwartet. Ich führte meinen 78-jährigen Vater durch „meinen“ Bereich, zeigte ihm mein modernes Eckbüro mit den raumhohen Fenstern, die Arbeitsplätze der 150 Mitarbeitenden für die ich führte, erzählte von unseren Produkten, den Projekten. Er hörte aufmerksam zu, stellte viele Fragen. Er war selber viele Jahre in Führungspositionen beschäftigt. Schliesslich schaute er mich an: "Ich glaube zu verstehen was deine Leute machen. Aber was machst eigentlich du?"

Diese simple Frage traf mich - erst mal noch nicht. Denn ich konnte eine, so schien mir, angemessene Antwort geben.

Später jedoch, als ich mit mir alleine war, traf mich diese Frage wie ein Boomerang. Sie liess mich nicht mehr los und hinterliess am Ende eine Leere in meinem Kopf.

Denn ja…was machte ich da eigentlich wirklich?

Was mir damals noch nicht klar war: Ich war nicht allein mit diesem Problem der inneren Leere, im Gegenteil. 10 Jahre später schaue ich auf viele Gespräche und Erlebnisse mit Führungskräften zurück. Das Symptom ist weiter verbreitet als ich jemals glaubte. Doch wie kommt es dazu und wie können wir als Führungsperson diesem Problem begegnen?

Die unbequeme Frage

"Was machst du eigentlich?"

Diese simple Frage steckt tief in unserem gesellschaftlichen Selbstverständnis. Es ist mitunter eine der ersten Fragen die wir im Smalltalk jemandem stellen - und meinen damit in 99% der Fälle den beruflichen und, nur zu oft, auch den Karrierekontext. Nur logisch, dass viele von uns „nach oben“ wollen, Karriere machen, beruflich mehr wollen. Mehr Einfluss, mehr Verantwortung, mehr Anerkennung. Die oberflächliche Beantwortung der Frage fällt damit immer leichter: „Ich bin verantwortlich für…“ - „Ich leite den Bereich …“ - „Ich bin in der Geschäftsleitung…“, etc.

Doch was, wenn jemand mehr wissen möchte, wie z.B. mein Vater?

Dann wird es schwieriger: Denn je mehr Verantwortung wir tragen, desto weiter entfernen wir uns oft von greifbaren Tätigkeiten und Resultaten. Unsere Mitarbeitenden entwickeln die Produkte, betreuen die Kunden, lösen die Probleme. Sie erschaffen etwas.

Und wir? Wir koordinieren, delegieren, kontrollieren. Wir optimieren Prozesse, erstellen Präsentationen, sitzen in Meetings. Wir sind beschäftigt, sehr beschäftigt sogar. 24 Stunden pro Tag reichen kaum. Aber erschaffen wir noch etwas?

Doch die wahre Unbequemlichkeit der Frage liegt nicht in der Antwort auf die Frage „Was machst du?“.

Sie liegt in der Erkenntnis, dass wir uns in Führungspositionen das selber schon lange nicht mehr fragen.

Oder noch exakter: Dass wir aufgehört haben, nach dem Sinn unseres Tuns zu fragen.

Die Karrierefalle

Wir haben Karriere gemacht, schauen uns um im Büro, reflektieren die letzten Jahre. Die Erfolge sind sichtbar: Projektreports, Zertifikate, vielleicht Fotos von Teamevents. Wir haben viel erreicht. Strukturen auf- und umgebaut, Prozesse optimiert, Teams geformt. Status, Einfluss, Anerkennung - alles da.

Und genau das wird zur Falle.

Denn irgendwann merken wir: Wir machen längst nicht mehr das, womit alles begann. Das, worin wir wirklich gut waren. Was uns Freude machte. Vielleicht waren wir brillante Entwickler, ausgezeichnete Projektleiterinnen, die besten Finanzcontrollerinnen oder leidenschaftliche Berater.

Und heute? Verwalten wir vor allem unseren eigenen Erfolg.

"Das kann ich doch nicht alles aufgeben", flüstert unsere innere Stimme. Je mehr wir erreicht haben, desto lauter wird sie. Wir beginnen, unseren Status zu verteidigen, unsere Position zu schützen. Der Blick geht nicht mehr nach vorne, sondern zurück - zurück auf das, was wir verlieren könnten.

Und so werden wir Stück für Stück zum Gefangenen unseres eigenen Erfolgs. Statt neue Wege zu erkunden, klammern wir uns ans Erreichte. Die Energie, die wir einst neugierig in Entwicklung und Wachstum gesteckt haben, fliesst jetzt in den Erhalt des Status quo.

Genau dann - wenn wir anfangen zu beschützen statt zu gestalten - wird die Karriere zur Sackgasse.

Das Perfide daran: In Führungsetagen ist dieses Gefühl (k)ein Geheimnis. Weil eben, viele unserer Kollegen kennen es selber, die Chefin kennt es wahrscheinlich, die meisten Führungskräfte wissen um diese Leere. Und weil das so ist, kann unsere Angst leicht be- und auch ausgenutzt werden. Es ist dann nicht nur die Leere die das Problem ist, wir werden zusätzlich unter Druck gesetzt. Weil wir so viel zu Verlieren haben ist das ein Kinderspiel. Und Schwupps, sind wir von der Gestalterin zum Opfer geworden. Ein Teufelskreis.

Der Moment der Erkenntnis

Doch wie beginnt es?

Meist sehr leise. Eine Unruhe beim Einschlafen. Diese eine Mitarbeiterin mit ihren "störenden" neuen Ideen, die wir reflexartig abwehren - um es später zu bereuen. Und sie bleibt nicht die Einzige, es wiederholt sich. Der Kollege, der kündigt, um etwas Eigenes aufzubauen, und den wir insgeheim beneiden, usw.

Kleine Signale.

Unbequeme Gedanken.

Lassen wir diese zu? Oder verteidigen wir uns weiter mit "So schlecht ist es ja nicht" und "Andere würden sich glücklich schätzen" oder „Es wird sich schon wieder legen“?

Zeit für ein Gedankenspiel:

  • Einatmen

  • Ausatmen

  • Und dann laut sagen: „Ich muss das hier nicht machen."

Und plötzlich spüren wir wieder, was im Verborgenen schon immer da war: Diese Energie von früher. Der Drang, etwas zu bewegen, etwas zu erschaffen. Er war nie weg - nur verborgen unter Meetings, Reports und dem eigenen Statusdenken.

„Ich muss das hier nicht machen" - verändert die Perspektive auf die eigene Situation und öffnet eine Tür aus der Sackgasse. Vielleicht wartet dahinter etwas Kleineres, etwas ganz Anderes, vielleicht sogar etwas Grösseres. Vielleicht mit weniger Status und weniger Geld. Aber dafür mit mehr Sinn? Wer weiss!

Denn letztlich geht es nicht um gross oder klein, um oben oder unten. Es geht um vorwärts. Um unser persönliches Vorwärts.

Die grosse Frage ist nicht "Was könnte ich verlieren?", sondern "Was könnte ich gewinnen?“. Oder vielleicht etwas neutraler: „Was könnte ich spannendes erleben und lernen“.

Der Weg zurück zu uns selbst

Die Forschung bestätigt, was viele Führungskräfte erleben: Diese Phase der Stagnation, dieses Gefühl eines "Plateaus“, ist normal. Je höher die Position, desto schwieriger fällt es uns Menschen loszulassen, wieder neue Wege zu beschreiten. Es geht meist nicht ums Geld - die "goldenen Handschellen" eines hohen Einkommens und der Privilegien sind vor allem in unserem Kopf eine Fessel.

Doch es gibt einen Weg. Er beginnt mit einer einfachen Übung: Erinnern wir uns an den Moment, als wir unsere erste Führungsposition angenommen haben. Was hat uns damals angetrieben? Was waren unsere Ziele? Es waren kaum die Quartalsziele und Budgets. Was also war es? Was waren unsere Ideen, was war in unserem Kopf und wie fühlte sich das an?

Diese Energie können wir anzapfen. Das geht in Momenten, wo wir wirklich bei uns sind. Vielleicht beim Joggen, beim Wandern, oder einfach in der Stille. Dort, wo der Druck wegfällt und wir uns selber sein können.

Eine neue Definition von Erfolg

Mihaly Csikszentmihalyi, der den Begriff des "Flow" prägte, fand heraus: Je höher wir in der Hierarchie steigen, desto seltener erleben wir diese Momente völligen Aufgehens in einer Tätigkeit. Bedeutet: Gerade dort, wo wir am "erfolgreichsten" sind, fehlt uns das, was uns einst antrieb.

Was doof klingt ist in Wahrheit unsere Riesenchance. Denn Erfolg (oder Karriere) muss nicht bedeuten, immer weiter nach oben zu klettern. Wahrer Erfolg kann auch sein, den Mut zu haben, neue Wege zu gehen. Kleiner zu werden, um wieder zu wachsen. Und so immer näher an das heranzukommen, was uns wirklich antreibt.

Das bedeutet nicht, dass wir alles hinwerfen müssen. Aber wir können beginnen, unsere eigene Definition von Erfolg zu finden. Eine, die sich vielleicht nicht an Titeln, Bürogrössen und Anzahl Mitarbeitenden misst, sondern an der Freude, Neugier und dem Sinn in unserem Tun.

Ein persönliches Fazit

Mein Vater schaute sich damals noch eine Weile auf "meinem" Stockwerk um. Er bestaunte auch den Fitnessraum, den Kreativ-Space, die Playstation und die Loungesessel. Daran erinnere ich mich gut. Doch der eigentliche Gamechanger war seine Frage, diese hat mich verändert. Ja, ich mag Führungspositionen, ich mache das weiterhin gern. Doch heute arbeite ich anders, näher an dem, was mir wichtig ist und wo ich glaube meine Stärken zu haben. Ja, manchmal vermisse ich das grosse Büro. Aber ich vermisse nie das Gefühl der Leere, das sich darin ausbreitete wenn ich alleine war.

Und du? Wie sieht es mit deiner Führungsfunktion aus? Vielleicht ist es Zeit, dass auch du dir diese unbequeme Frage stellst: "Was machst du eigentlich?" Und wichtiger noch: "Was möchtest du wirklich machen?"

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Lesetipps

- Bardwick, J. (1986). The Plateauing Trap

- Amabile, T. & Kramer, S. (2011). The Progress Principle

- Csikszentmihalyi, M. (1990). Flow: The Psychology of Optimal Experience

- London Business School (2019). Career Transition Study