Hohe Erwartungen = mehr Glück
Eine Gratwanderung über Erwartungen und Selbstverantwortung - und die Wissenschaft dahinter, warum hohe Ziele uns zufriedener machen können.
Martin Talamona
3/9/20255 min read
Die Wandersaison hat begonnen. Endlich!
Wir wollten Sonne, Erholung, Herausforderung, Sport. Vor allem Zeit für uns und noch wichtiger: 2 Tage Abstand von allem Anderen.
Zuvor war ich 4 Wochen krank. Nicht am Stück, aber immer wieder und so war ich länger nie richtig fit. Rechtzeitig zum Frühlingswetter ging's dann besser. Und so gingen wir wandern.
Die Erwartung an mich: Eine Wanderroute, mit der das alles erfüllt wird und für mich (noch nicht 100% fit) und Martina (stark sehbeeinträchtigt) machbar ist.
Moment: Die Erwartung kam von wem? Natürlich von mir selbst.
Teufelchen und Engelchen auf Wanderschaft
Beim Wandern unterhielten wir uns über den Zusammenhang zwischen Erwartungen, Leistung und Zufriedenheit.
Auf der einen Schulter sitzt das Teufelchen: „Setze die Erwartung nicht zu hoch, die Enttäuschung wäre nur zu gross".
Auf der anderen Schulter das Engelchen: „Setze die Erwartung hoch, nur so entsteht gute Leistung"
Jedoch: Muss jetzt wirklich am Weekend bei der „Erholung" auch noch der Leistungsgedanke mitwandern?
Und die Erkenntnis war: Es kommt drauf an, mit Tendenz zu ja. Sprich: Es ist nicht unbedingt ein Widerspruch, Erholung und Leistung in einem Satz zu nennen.
Wir hatten also etwas zu diskutieren und näherten uns mit jedem Schritt dem Zusammenhang zwischen Erwartung, Leistung und Glück ein bisschen mehr an.
Schmiede dein Glück
Weshalb? Im Grundsatz: Wir sind unseres Glückes Schmied.
Doch wann sind wir glücklich? Unter anderem dann, wenn wir selbst am Steuer sitzen. Die Psychologen Deci und Ryan haben das in ihrer Self-Determination-Theory ziemlich gut auf den Punkt gebracht: Wir Menschen brauchen drei Dinge - selbst entscheiden können, etwas gut können und mit anderen verbunden sein.
Wenn ich mir selbst ein Ziel setze (z.B. diesen Berg schaffen, obwohl ich noch nicht ganz fit bin), dann bin ich am Steuer. Ich entscheide. Und wenn ich's dann packe, dann kann ich was. Diese Kombination fühlt sich dann so richtig gut an.
Carol Dweck hat das mit ihrer Forschung zum "Growth Mindset" noch erweitert. Sie hat herausgefunden, dass Menschen, die glauben "Ich kann das lernen" (statt "entweder ich kann's oder nicht"), sich mehr zutrauen und bei Schwierigkeiten nicht so schnell aufgeben. Sie sehen den steilen Kletterweg und denken "Herausforderung!" statt "Unmöglich!".
Für uns wurde das klar, als wir auf die andere Seite der Skala schauten: „Ach komm, wir lassen es besser und machen einfach einen Spaziergang zur Kirche rauf, das kennen wir". Das Wochenende wäre auch rum gegangen. Doch wie hätte es sich angefühlt?
Hohe Erwartungen = mehr Glück? Ja, aber...
Klingt irgendwie logisch, oder? Hohe Erwartungen, bessere Ergebnisse, mehr Zufriedenheit. Doch so einfach ist es dann doch nicht.
Die Art der Erwartung macht den Unterschied und wir sollten da ein paar Unterscheidungen machen:
Selbstgesetzte vs. fremdbestimmte Erwartungen: Wenn ich selbst entscheide "Ich will auf diesen Gipfel", ist das etwas ganz anderes, als wenn jemand sagt "Du solltest auf diesen Gipfel". Es ist zwar am Ende der gleiche Weg, aber ein komplett anderes Gefühl.
Prozess vs. Ergebnis: "Ich will mein Bestes geben" vs. "Ich muss der Schnellste sein". Bei ersterem habe ich es selbst in der Hand, bei letzterem bin ich abhängig von allen anderen Wanderern.
Herausfordernd vs. unrealistisch: Eine gute Erwartung fordert mich, aber überfordert mich nicht. Es gibt diesen schmalen Grat zwischen "Das schaffe ich gerade noch" und "Das ist unmöglich".
Wirklich hilfreich sind Erwartungen dann, wenn ich sie selbst setze, sie sich auf meinen Einsatz fokussieren und mich fordern, ohne mich zu erdrücken. Denn dann wird es sich nach dem Erreichen so anfühlen: Das war ich. Nicht Glück, nicht andere - ich. Ein Gefühl von Zufriedenheit.
Und was bedeutet das jetzt?
Es geht nicht um irgendwelche Erwartungen, sondern um die richtigen. Selbstgewählt statt aufgezwungen. Prozessorientiert statt nur ergebnisorientiert. Herausfordernd, aber nicht unmöglich.
Solche Erwartungen setzen Energie frei, statt sie zu rauben. Sie motivieren, statt zu entmutigen. Sie helfen uns, uns etwas zuzutrauen.
Die Frage ist also nicht: "Erwartungen – ja oder nein?", sondern: "Welche Art von Erwartungen gibt es in meinem Leben?"
Leistung immer und überall?
Dann also immer hohe Messlatte?
Nein, natürlich nicht. Immer nur Leistung führt zu einer Leistungskultur und diese kann auch sehr ungesund sein. Das wissen wir alle, die wir schon mal am Limit waren.
Aber worum geht es dann?
Für uns geht es um Selbstverantwortung. Erwarte ich etwas von mir selber? Und wenn ja: Ist das im Bereich des - wenn auch nur entfernt - Möglichen? Bin ich bereit dafür zu schwitzen?
Oder... gebe ich lieber den Dingen im Aussen die Schuld? Delegiere ich die Verantwortung auf Sachen, die ich nicht beeinflussen kann? ("Es ist erst März, ich bin noch nicht fit, meine Frau ist fast blind, deshalb können wir jetzt nicht…“)
Was will ich? Bin ich Opfer der Umstände oder übernehme ich Verantwortung für mein Handeln?
Der Gipfelblick
Wenn ich Verantwortung für mein Handeln übernehme, dann ist es eine Möglichkeit, die Erwartung auch explizit klarzumachen, zu benennen diese nicht zu tief zu setzen. Damit kann man - siehe Wissenschaft - die Menge an positiven Gefühlen wie Zufriedenheit und Glück steigern - wenn es im Bereich des Möglichen ist.
Nach zwei Stunden standen wir oben, schneller als erwartet. Der Ausblick war toll, die Zufriedenheit noch grösser. Es hat sich gelohnt, die Messlatte nicht zu tief zu legen.
Vom Berggipfel runter in den Job
Auf unserem Rückweg, mit dem Glücksgefühl des erreichten Gipfels, schweiften unsere Gedanken dann in andere Lebensbereiche.
Besonders in unserem Berufsleben spielt die Frage nach Erwartungen eine zentrale Rolle – meist mehr als in der Freizeit. Denn während wir am Wochenende frei entscheiden können, ob wir die Messlatte höher oder tiefer legen, ist das im Job oft schwieriger:
Was ist die Erwartung an mich in meinem Beruf? Was will ich selbst erreichen?
Was ist die Erwartung an mich von meinem Arbeitgeber?
Und damit: Habe ich den Beruf, in dem diese beiden Erwartungswelten übereinstimmen?
Zu oft gibt es keine klar formulierten Erwartungen – weder von uns selbst an uns, noch von der anderen Seite. Wie bei unserer Wanderung wären wir laut Forschung aber zufriedener, hätten wir sinnvolle, fordernde Ziele - oder eben Erwartungen.
Doch gesunde Erwartungen an sich selber zu formulieren und z.B. den Job zu wechseln wenn sie nicht vereinbar sind mit den Erwartungen meines Arbeitgebers und/oder Verantwortung zu übernehmen um die eigenen Erwartungen zu erfüllen erfordert so einiges.
So kannst du mit Erwartungen umgehen
Also: Wie kannst du das für dich nutzen? Ein paar Gedanken:
Sag es laut! Nicht nur denken, aussprechen. "Ich will auf diesen Berg" - nicht "Vielleicht könnte ich irgendwann..." Wer ausspricht, wird verbindlich. Zu sich selbst.
Ist es machbar? Nicht leicht, aber irgendwie machbar? Die besten Herausforderungen sind die, bei denen du im Vorfeld denkst: "Schwierig, aber..." und nicht "Unmöglich!"
Stufe um Stufe. Die 4000er kommen nach den 3000ern nach den 2000ern nach den 1000ern. Was wir im März schafften, hätten wir im Januar noch nicht geschafft - und im April geht noch mehr.
Frag nach! Und zwar nicht die, die immer "super" sagen, sondern die, die ehrlich sind. "Meinst du, ich schaffe das?" - lautet die Frage für überraschende Antworten.
Berge, Beruf, Beziehungen - überall gilt dasselbe: Mit den richtigen Erwartungen an dich selbst gehst du weiter.
Das Resultat: Du fühlst dich besser dabei.
Dein nächster Gipfel?
Auf diese Balance zwischen Erwartungen und Zufriedenheit schauen wir auch in unseren Retreats. Besonders in der "Tour de Vision" im September verbinden wir das Wandern mit der Reflexion über unsere Ziele und Erwartungen.
In kleiner Gruppe von maximal 5 Personen, mit ausreichend Zeit für deine persönlichen Fragen. Ohne Druck, aber mit Perspektive.


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